VDI-Expertenforum: Evakuierung

Anlässlich der Veröffentlichung des Entwurfs der VDI-Richtlinie 4062 – Evakuierung – im August 2014 veranstaltet die VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt (GEU) – Fachbereich Sicherheit und Management – ein VDI-Expertenforum am 20. August 2014 in Düsseldorf.


VDI4062_Deckblatt

Mitglieder des Richtlinienausschusses geben einen Überblick zum Thema aus behördlicher Perspektive, aus Sicht der Berufsgenossenschaften und der Umsetzung in Unternehmen. Psychologische Aspekte der Evakuierung und Alarmierung sowie Maßnahmen in Bezug auf besondere Personengruppen werden ebenso in Vorträgen beleuchtet. Den Abschluss des Forums bildet eine Podiumsdiskussion der Referenten.

Die neue Richtlinie VDI 4062 soll Arbeitgebern/Unternehmern/Betreibern, die für den Schutz von Leib und Leben von Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie für betriebsfremde Personen wie z.B. Besucher, Teilnehmer, Kunden, Fremdfirmen verantwortlich sind, unterstützen, um in allen betrieblichen Situationen, d.h. nicht nur auf den Normalbetrieb, sondern z.B. auf Revision, Tag der offenen Tür, Mitgliederversammlung auf dem Werksgelände, Veranstaltungen aller Art eine geordnete und sichere Evakuierung zu ermöglichen und durchzuführen. Die Richtlinie gibt insbesondere Hinweise und macht Aussagen, wie diese Evakuierung als Selbstrettung organisiert und durchgeführt werden kann und beschreibt die Schnittstellen zur Fremdrettung, insbesondere bei Menschen mit Behinderungen. Sie soll den für die Evakuierung Verantwortlichen eine Hilfestellung zur Vorbereitung und Durchführung der Evakuierung geben.

Begriffsdefinition Evakuierung
Bei der Ankündigung des VDI-Expertenforums ist die vom Richtlinienausschuss vorgenommene Beschreibung des Begriffs Evakuierung interessant:

Die Evakuierung ist keine allgemein zulässige Sicherheitsmaßnahme des Arbeitsschutzes, sondern eine Notfallmaßnahme, die der Praxis geschuldet ist, dass die vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen nur unzureichend umgesetzt werden, wie dies z.B. aufgrund von Mängeln im Brandschutz der Fall ist. Evakuierung kann aber auch notwendig sein, weil die Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichen, um die Gefahren von den Personen abzuwehren oder externe oder interne Ereignisse eingetreten sind, welche eine Evakuierung erfordern.

Im Vergleich dazu kennt das Bauordnungsrecht den Begriff Evakuierung nicht. Um das Schutzziel „Rettung von Menschen und Tieren“ zu erreichen, beinhaltet das Bauordnungsrecht Anforderungen an den äußeren und inneren Rettungsweg. Die Grundanforderung nach zwei Rettungswegen geht von der Annahme aus, dass im Gefahrenfall mindestens einer der Selbstrettung oder den Rettern hilfloser Personen zur Verfügung steht. Der Gefahrenfall ist dabei nicht nur auf den Brandfall begrenzt, sondern umfasst jeden Fall einer möglichen Gefahr. Die Sonderbauvorschriften berücksichtigen die aus der hohen Nutzerzahl resultierenden Gefahr durch erhöhte Anforderungen an die Rettungswege.

Beim Lesen der Begriffsbeschreibung in der Ankündigung zum VDI-Expertenforum entsteht der Eindruck, dass eine Evakuierung nur erforderlich ist, wenn Sicherheitsvorkehrungen unzureichend umgesetzt oder nicht ausreichend sind. Steht dies nicht im Widerspruch zu den Schutzzielanforderungen des Bauordnungsrechts? Die materiellen Brandschutzregelungen des Bauordnungsrechts sind auf die Wohnnutzung und auf hinsichtlich der Risiken vergleichbare Nutzungen abgestimmt. Im Sonderbau, vor allem in Gebäuden mit erhöhtem Publikumsverkehr, in Versammlungsstätten, in gewerblich oder industriell genutzten Gebäuden, reichen die für Wohngebäude der Gebäudeklasse 1 bis 5 definierten baulichen Maßnahmen, um ein ausreichendes Sicherheitsniveau im Sinne des Bauordnungsrechts erreichen zu können, nicht aus. Die baulichen Maßnahmen müssen durch technische bzw. organisatorische Maßnahmen ergänzt werden, um das durch die besondere Nutzung der baulichen Anlagen erhöhte Risiko auszugleichen, um wiederum das erforderliche Mindestsicherheitsniveau zu erreichen. Die Beschreibung des Evakuierungs-Begriffs erweckt den Eindruck, dass die Evakuierung als eine reine Kompensationsmaßnahme angesehen wird. Organisatorische Maßnahmen weisen aufgrund ihrer vielen unbekannten Einflüsse im Vergleich zu baulichen oder anlagentechnischen Maßnahmen eine größere Unsicherheit auf. Die Evakuierung als Kompensation anzusehen, ist in diesem Zusammenhang kritisch zu hinterfragen.

Unbestritten ist, dass in der heutigen Praxis eine große Vielfalt von Evakuierungs- und Räumungskonzepten besteht. Man darf gespannt sein, ob die angekündigte VDI-Richtlinie 4062 diese Lücke schließen kann.

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