Powers of Ten

Im Verlauf eines Gespräches mit einem Brandschutzexperten fragt eine Journalistin:
Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass es brennt?

Der Experte antwortet sinngemäß:
Mathematisch ausgedrückt, wir rechnen mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 1*10-6 pro Quadratmeter und Jahr (1/(m2 * a))… für ein Gebäude von 10.000 m2 bedeutet dies, es dauert 100 Jahre bis es einmal anfängt zu brennen.


Wahrscheinlichkeit, Häufigkeit und Ausmaß sind nur drei Begriffe, die einer schutzzielorientierten Brandschutzkonzeption zu Grunde liegen. Leider werden – nicht nur im Fall des oben sinngemäß wiedergegebenen Gespräches – diese Begriffe all zu oft falsch verwendet.

Das gesellschaftlich allgemein akzeptierte Risiko als Maß für die Größe einer Gefahr beträgt in Bezug auf die brandschutztechnische Auslegung ca. 1*10-5 bis 1*10-6. Diese dimensionslose Zahl ist eine Funktion der Eintrittswahrscheinlichkeit [latex]p_{E}[/latex] eines Ereignisses und dem Erwartungswert [latex]E(S)[/latex] des Schadens bei Eintritt dieses Ereignisses:

[latex display=“true“]R = p_{E} * E(S)[/latex]

Wird das Risiko auf ein bestimmtes Zeitintervall (zum Beispiel ein Jahr) bezogen, spricht man nicht von Wahrscheinlichkeiten, sondern von Häufigkeiten (hE):

[latex display=“true“]R = h_{E} * E(S)[/latex]

Leider wird der Begriff der Häufigkeit eines Ereignisses oft mit dessen Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt. Der richtige Weg für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit ist die Poisson-Verteilung:

[latex display=“true“]p(x) = {\lambda^{x} e^{-\lambda}}/{x!}[/latex]

Damit lässt sich die Wahrscheinlichkeit [latex]p(x)[/latex] berechnen, dass in einem Beobachtungsintervall [latex]x[/latex] Ereignisse auftreten.

Eine Aussage über den Eintrittszeitpunkt kann über die Eintrittshäufigkeit, das Schadensausmaß und das sich daraus ergebende Risiko nicht getroffen werden. Dies würde eher einem Blick in die Glaskugel gleichen.

Zusammenfassend hätte die Aussage des Brandschutzexperten daher lauten müssen:

Bei einem gesellschaftlich allgemein akzeptierten Risiko von 1*1*10-6 und einer angenommenen Eintrittshäufigkeit von 1*10-6 pro m2 und Jahr ergibt sich für ein Gebäude von 10.000 m2 die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb von 100 Jahren einmal brennt. Der Eintrittszeitpunkt kann nicht vorhergesagt werden.

Powers of Ten
Mit dem obigen Beispiel soll kein Sturm der Entrüstung ausgelöst werden. Vielmehr soll an dieser Stelle für die richtige Verwendung der Fachbegriffe sensibilisiert werden. Sehr kleine Häufigkeiten lassen sich nur schwer fassen. Je öfter Bemessungsverfahren mit Wahrscheinlichkeiten (z.B. Eurocode) angewendet werden, desto größer wird die Anzahl der kritischen Rückfragen. Das Vertrauen in die heutigen Bemessungsverfahren kann mit fachlich falschen Antworten, wie im Beispiel gezeigt, wohl nicht gewonnen werden.

Wie man komplexe Zusammenhänge und Dimensionen auf einfache und gute Weise darstellen kann, zeigt beispielsweise der Film „Powers of Ten“ von Ray und Charles Eames aus dem Jahr 1977. Thilo Küssner stellte im seinem Blog Mathlog in den vergangenen Tagen einige Apps mit Bezug zur Mathematik vor – darunter die App Minds of Modern Mathematics. Die App stellt die digitale Version des bekannten Plakats „Men of modern mathematics“ aus dem Jahr 1966 dar und stammt aus der Ausstellung „Mathematica: A world of numbers… and beyond„. Die von IBM gesponserte Ausstellung war und ist eine interaktive Ausstellung rund um das Thema Mathematik, die heute noch in der New York Hall of Science zu sehen ist.

Vielleicht dient der Film und die weiteren Arbeiten von Ray und Charles Eames dem ein oder anderen Brandschutzingenieur als Inspiration, wie man sein komplexes Arbeitsfeld einfach und verständlich seinem Kunden und anderen „Nicht-Fachleuten“ erklären kann.

So könnte Vertrauen wachsen und Verständnis für die aus unserer Arbeit resultierenden Brandschutzmaßnahmen entstehen.

2 Kommentare

  1. Danke für das Feedback.

    Interessant fand ich den Kommentar über Xing auf Gregors obenstehendes Posting. Tenor: ‚Gut und schön, aber einen Brand kann man nicht berechnen, letztlich rechnet man so nur die Sicherheit herunter und das ist lebensgefährlich.‘
    Das ist schon weniger Kommentar als mehr Reflex auf jeden Wahrscheinlichkeits-Ansatz im Brandschutz und ich befürchte, da werden wir nicht Jahre sondern Jahrzehnte mit zu kämpfen haben.

  2. Schoener Artikel, denn gerade in diesem komplexen Bereich kommt leider viel zu haeufig zu Fehlinterpretationen von Begrifflichkeiten und das traegt leider auch nicht gerade zur Akzeptanz dieser Methoden bei.

    Vielleicht koennte man noch hinzufuegen, dass die berechnete Wahrscheinlichkeit mitnichten aussagt, dass es nur einmal in 100 Jahren zu einem Brand kommen kann. Es kann – statistisch gesehen – innerhalb weniger Jahre mehrfach brennen oder einige hundert Jahre lang nicht…

Kommentare sind geschlossen.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner