Personenstromanalysen mit rechnerischen Nachweisverfahren

In der letzten Sitzung der 27. Braunschweiger Brandschutztage wurden die redaktionellen und inhaltlichen Ãœberarbeitungen/ Ergänzungen der für Mitte November 2013 erscheinenden 3. Auflage des vfdb-Leitfadens „Ingenieurmethoden des Brandschutzes“ des vfdb-Referat 4 „Ingenieurmethoden des Brandschutzes“ vorgestellt. Bei der 3. Auflage handelt es sich im Wesentlichen um eine redaktionelle Ãœberarbeitung und inhaltliche Ergänzung der nachfolgenden Kapitel:

  • Brandszenarien und Bemessungsbrände (Kap. 4)
  • Modelle für die Brandsimulation (Kap. 5)
  • Brandschutznachweise für Bauteile und Tragwerke (Kap. 6)
  • Anlagentechnischer und abwehrender Brandschutz (Kap. 7)
  • Personensicherheit in Rettungswegen (Kap. 8)
  • Personenstromanalysen mit rechnerischen Nachweisverfahren (Kap. 9)

Der Fokus zur Beurteilung der Personensicherheit lag im Kapitel 9 der ersten beiden Auflagen auf der Berechnung der Räumungszeit und dem Grundsatz, dass die Räumungszeit kleiner sein muss als die verfügbare Räumungszeit:

[latex] t_{Raeumung} < t_{verfuegbar} [/latex]

Für die Analyse und Beurteilung von Stauungen, die bei Räumungsübungen bzw. -ereignissen beobachtet werden können, wurde bisher auf Veröffentlichungen im umfangreichen Literaturverzeichnisses verwiesen. Den in den vergangenen Jahren erzielten und veröffentlichten Ergebnissen aus verschiedenen Forschungsprojekten wird nun Rechnung getragen und neben dem Kriterium „Zeit“ hält nun auch das Kriterium „Qualität“ Einzug in das Kapitel 9.

Unter dem Kriterium „Qualität“ versteht das Arbeitsteam des Referats 4 u.a. die Beschreibung der Entwicklung von lokalen Personendichten und die Bildung von Staus. Quantitative Aussagen, wie bei der Beschreibung der toxischen und thermischen Wirkungen von Brandgasen, sind für die Bewertung dieses Kriteriums in der 3. Auflage wohl nicht zu erwarten. Im Tagungsbeitrag von Dr. Schneider (IST GmbH, Frankfurt) und Dr. Forell (GRS, Köln) heißt es:

Der zulässige Zeitraum einer solchen Stausituation sollte nur wenige Minuten betragen, da auch die psychischen Auswirkungen einer längeren Wartezeit zu bedenken sind. Innerhalb der weiteren Rettungswege sollten Staubildungen vermieden werden. Nicht akzeptabel sind Staubildungen in unübersichtlichen Bereichen, da hier für die im Stau befindlichen Personen ein deutlich erhöhtes Maß der Gefährdung durch nachrückende Flüchtende besteht (Staudruck).

Zur Bewertung von zulässigen Personendichten verweisen die Autoren des Tagungsbandes auf das „Vier-Stufen-Modell“ von Dr. Oberhagemann, das im Technischen Bericht 13-01 „Statische und dynamische Personendichten bei Großveranstaltungen“ im Jahr 2012 veröffentlicht wurde.

Vier Stufen Modell des Staus
Aus Beobachtungen von Veranstaltungen im Bereich des Kölner Stadion, den Freiluftveranstaltungen Soester Kirmes und Kölner Lichter und der Loveparade 2010 leiteten die Verfasser des TB 13-01 ein „Vier Stufen Modell des Staus“ (Abschnitt 6 des TB 13-01) ab. Leider lässt der Technische Bericht und die Herleitung des „Vier-Stufen-Modells“ hinsichtlich der grundlegenden wissenschaftlichen Qualitätskriterien noch viel Luft nach oben.
Die Bemühungen der Herausgeber eine quantitative Einstufung von Stauungen vorzunehmen, sollten dennoch nicht unerwähnt bleiben. Bei der Betrachtung von Personenströmen im Räumungsfall finden in der Regel keine Gegenströme statt, die bei der Entwicklung des Vier-Stufen-Modells bei den Beobachtungen von Dr. Oberhagemann zu Grunde lagen. Der Fokus des mit Mitteln des Bundesministeriums fü„r Bildung und Forschung im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramm im Bereich „Schutz und Rettung von Menschen“ der Bundesregierung geförderten Vorhaben lag auf Großveranstaltungen und deren Planung, Bewertung und Entwicklung von Rettungskonzepten. Für die Beurteilung von Flucht- und Rettungswegen im Rahmen von Personenstromanalysen mit rechnerischen Nachweisverfahren ist die Anwendbarkeit dieses Modells kritisch zu hinterfragen.

Herleitung von Kriterien zur Beurteilung von Personendichten und Stauungen
Bei der Verwendung von sogenannten Individualmodellen fließt im Gegensatz zu Kapazitätsanalysen und hydraulischen Modellen die Bewegung und das Verhalten von Einzelpersonen in das Berechnungsergebnis mit ein. Dies ermöglicht einerseits die Betrachtung des möglichen Verhaltens von Einzelpersonen oder Personengruppen und erfordert andererseits eine Definition von Kriterien zur Beurteilung von Personendichten und Stauungen, deren Erarbeitung derzeit Bestandteil bzw. Ziel der Aktivitäten von verschiedenen Arbeitsgruppen und Kreisen (u.a. RiMEA, ViB e.V.) ist.

Anwendungsbeispiel
Das im Anhang 2 des Leitfadens enthaltene fiktive Hörsaalgebäude dient der Verdeutlichung der einzelnen Nachweisschritte zu einem schutzzielorientierten Brandschutzkonzept. In den vergangenen Jahren war dieses fiktive Gebäude bereits mehrfach Gegenstand von Veröffentlichungen, die nun Eingang in den Anhang des vfdb-Leitfadens finden.





Das Anwendungsbeispiel aus Anhang 2 dient als Ausgangspunkt für eine in den kommenden Monaten an dieser Stelle stattfindenden Untersuchung, die sich unter anderem mit nachfolgenden Fragen/ Problemstellungen auseinandersetzen wird:

  • Messung und Beurteilung von globalen und individuellen Stauzeiten
  • Messung und Beurteilung von globalen und individuellen Gehgeschwindigkeiten
  • Herdenverhalten von Personengruppen
  • Wahl des Fluchtweges
  • Unsicherheiten von Räumungsmodellen [cite]10.1007/s10694-013-0352-7[/cite]
  • Identifizierung von Gedränge [cite]http://arxiv.org/abs/1008.2160[/cite]

Anregungen, Hinweise und weitere Ideen für die anstehenden Untersuchungen sind willkommen und können über die Kommentarfunktion hinzugefügt werden. Eine Mitarbeit und Beteiligung ist ebenfalls gerne gesehen.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner