Sicherheit im Brandschutz oder der Wert eines (statistischen) Lebens… (1/3)

Fahrradhelm oder nicht? An dieser grundsätzlichen, aber im Ernstfall durchaus entscheidenden, Frage schieden sich Anfang 2014 die Geister. Was war geschehen?
Im April 2011 fuhr eine Frau auf ihrem verkehrstüchtigen Fahrrad den wenige hundert Meter weiten Weg zu ihrer Arbeit – ohne einen Fahrradhelm zu tragen. Unterwegs passierte sie ein widerrechtlich geparktes Fahrzeug. Die Fahrerin des geparkten Fahrzeugs öffnete, ohne kontrollierenden Blick in den Außenspiegel, die Tür, worauf die Fahrradfahrerin stürzte, mit dem Hinterkopf aufschlug und sich den Schädel brach.

So weit, so schlecht, aber für einen juristischen Laien scheint die Schuldfrage klar.

Im Juli 2013 urteilte jedoch das zuständige Oberlandesgericht, dass die Fahrradfahrerin eine Teilschuld trifft, da sie keinen Fahrradhelm trug. Auch wenn hierzulande keine Helmpflicht besteht, ist das tragen eines Helms jedoch eine Maßnahme, „die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.

Der Laie staunt, aber was hat das alles mit dem Thema Brandschutz zu tun?

Auf den ersten Blick nicht viel, tatsächlich erlaubt das Thema aber einen interessanten Quervergleich.
Einleuchtend ist, dass ein guter Fahrradhelm subjektiv eine sinnvolle Maßnahme zur Verringerung des potentiellen Schadensausmaßes darstellen kann. Gilt dies damit aber auch gleichsam für die Gesamtheit aller deutschen Fahrradfahrer und sollte das Tragen eines Fahrradhelms während der Fahrt dann nicht auch zur Pflicht gemacht werden?

Oder mit Blick auf den Brandschutz anders gefragt:

„Sollte bspw. eine qualififzierte Entrauchung mit einer raucharmen Schicht von mindestens 2,5 m Höhe nicht auch da verpflichtend gefordert werden, wo sie aktuell nicht gefordert wird?“

„Nein“, antwortet Gernot Sieg von der Universität Münster, zumindest auf die Frage nach dem Sinn einer allgemeinen Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelms. Er hat in einer wissenschaftlichen Studie die gesamtwirtschaftlichen Kosten mit dem Nutzen verglichen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Kosten den Nutzen um 40 % übersteigen. Volkswirtschaftlich macht eine allgemeine Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelms damit keinen Sinn.

Mit dieser Fragestellung eng verbunden, ist die Frage nach dem durch Fahrradunfälle entstandenen volkswirtschaftlichen Schaden und dem durch Einführung einer Helmpflicht vermiedenen Anteil daran. Spätestens hier stellt sich uns eine sehr unangenehme, aber trotzdem wichtige Frage: was ist uns denn Gesundheit oder sogar ein (statistisches) Menschenleben wert? Diese von einem ethischen Standpunkt aus betrachtet unangenehme bzw. unmögliche Fragestellung kann auf verschiedene Arten beantwortet werden. Eine Möglichkeit ist die Ermittlung des sogenannten „kompensatorischen Lohndifferentials“.  
Dieser Ansatz betrachtet die Bereitschaft eines Arbeitnehmers, unter sonst gleichen Bedingungen zur Aufnahme einer riskanteren oder hinsichtlich der Arbeitsbedingungen unvorteilhafteren Beschäftigung, wenn sie dafür eine Kompensation in Form einer Lohnerhöhung erhalten.“ [1].
Vereinfacht gesagt: Mit steigendem Risiko, steigt der Lohn.

Eine andere mögliche Antwort wäre die Berechnung der Differenz zwischen dem Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt im Falle eines Unfalls und ohne Auftreten des Unfalls. Der tatsächliche finanzielle Schaden eines Unfalls (oder eben eines Brandes mit Todesopfern) wäre dann der Sachschaden und die in Folge des Unfalls nicht erbrachte Leistung der Opfer am Bruttoinlandsprodukt.

Unabhängig davon mit welcher Methode man den Wert eines statistischen Lebens bemisst: die Antwort bringt uns schnell große Probleme, da Menschenleben unterschiedliche Werte zugewiesen werden und dieser Ansatz vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung negativ belegt ist.
Trotzdem hat bspw. Hannes Spengler in seiner Arbeit „Kompensatorische Lohndifferenziale und der Wert eines statistischen Lebens in Deutschland“ [1]  dem Leben eines beschäftigten bzw. arbeitenden Mannes einen statistischen Wert von durchschnittlich 1,72 Millionen Euro zugewiesen, dem einer beschäftigten bzw. arbeitenden Frau durchschnittlich aber nur 1,43 Millionen Euro. Das Leben eines männlichen Arbeiters ist demnach nur 1,22 Millionen Euro wert, das eines männlichen Angestellten entsprechend mehr. Bei solch unbefriedigenden Antworten stellt sich dann doch die Frage: Brauchen wir das, den monetären Wert eines Menschenlebens? Können wir den Wert nicht einfach auf „unbezahlbar“ festlegen?

Leider führt uns diese Antwort nicht weiter. Konsequent zu Ende gedacht, würde ein unendlich wertvolles Menschenleben bei der Bemessung des wirtschaftlich sinnvollen Sicherheitsniveaus ein unendlich hohes Invest in brandschutztechnische Infrastruktur sinnvoll machen. Genau hier kommen wir langsam zum entscheidenden Punkt.

1. Ein höheres Sicherheitsniveau ist sicherlich immer erstrebenswert, aber eben nicht immer sinnvoll.

2. Hat man sich einmal damit abgefunden, dass man keine absolute Sicherheit erreichen wird und nur ein begrenztes Investment für die Sicherheit zur Verfügung steht, ist man gut beraten das zur Verfügung stehende Investment sinnvoll anzuwenden, also den zur Verfügung stehenden Betrag so auszugeben, dass damit die höchste Sicherheit erreicht wird.

Der amerikanische Ökonom Ike Brannon hat es frei übersetzt wie folgt ausgedrückt:

„Für jeden Dollar, den der Staat ausgebe, muss er dem Steuerzahler möglichst viel zurückgeben. Wenn eine Regulierung mehr kostet, als sie ihr bringt, soll sie nicht in Angriff genommen werden.“ [2]

Doch wie setzt man dies im Brandschutz um?
Im Entwurf der DIN 18009-1 ist zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer risikobasierten Bewertung und Auswahl von Brandschutzmaßnahmen beschrieben, mindestens ebenso wichtig ist allerdings eine Diskussion über den gesellschaftlichen Umgang mit der Definition des Risikos und des akzeptierten Risiko-Grenzwertes.
Der reflexartige Ruf nach mehr Brandschutz, unmittelbar nach jedem größeren oder kleineren Brandereignis, ohne überhaupt das Schadensereignis analysiert zu haben, ist nicht zielführend und stellt schlechtestenfalls nicht weniger dar, als die Instrumentalisierung der Opfer.

Wie dieser systematische Zusammenhang zwischen akzeptiertem Risiko, Sicherheit und Investment aussieht, werden wir im 2. Teil der Artikelserie näher betrachten.

[1] „Kompensatorische Lohndifferenziale und der Wert eines statistischen Lebens in Deutschland„, Prof. Dr. Hannes Spengler
[2] „What is a Life Worth?„, Ike Brannon
[3] „Norm-Entwurf DIN 18009-1:2015-04 – Brandschutzingenieurwesen – Teil 1: Grundsätze und Regeln für die Anwendung
[4] „Der Wert des Lebens – Zeit online

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