Sicherheit im Brandschutz oder der Wert eines (statistischen) Lebens… (2/3)

Hat man einmal akzeptiert, dass auch im Brandschutz ein unendlich hohes Invest in „Sicherheit“, selbst unter dem Hinweis auf die Rettung von Menschenleben, niemals sinnvoll sein kann, stellt sich unwillkĂĽrlich die nächste Frage: In welcher Höhe ist denn ein Invest sinnvoll?

Leider kann diese grundsätzliche Frage nicht allgemeingültig für alle Gebäude, für alle Nutzungen und für alle Bauherren eindeutig beantwortet werden. Vielmehr führen ausgehend von dieser Frage verschiedene Aspekte zu einer möglichen Antwort:

  • Welches Sicherheitsniveau wird rechtlich als Minimum gefordert?
  • Welches SchadensausmaĂź tritt statistisch in Abhängigkeit von einem Sicherheitsniveau ĂĽber die Lebensdauer des Gebäudes auf?
  • Welches Invest ist ĂĽber die Lebensdauer eines Gebäudes nötig, um ein Sicherheitsniveau zu erreichen?

Diese Zusammenhänge wurden beispielsweise in [1] in einer verständlichen Systematik dargestellt.


Risiko und Kosten

In dem obenstehenden Diagramm ist das Sicherheitsniveau auf der X-Achse eingetragen, die zugehörigen (Total-)Kosten auf der Y-Achse. Die Sicherheit S berechnet sich dabei als inverser Wert des Risikos:

[latex]S = 1 / R[/latex]

Das Risiko des Ereignisses „Brand“ ergibt sich aus dem Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit [latex]p_{E}[/latex] eines Brandereignisses und dem Erwartungswert [latex]E(S)[/latex] des SchadensausmaĂźes bei Eintritt:

[latex]R = p_E * E(S)[/latex]

Wird das Risiko auf ein bestimmtes Zeitintervall (zum Beispiel ein Jahr oder die Lebensdauer des Gebäudes) bezogen, spricht man nicht von Wahrscheinlichkeit, sondern von Häufigkeit [latex]h_{E}[/latex]:

[latex]R = h_E * E(S)[/latex]

Einem zu erreichenden Sicherheitsniveau auf der X-Achse stehen damit Kosten auf der Y-Achse gegenüber. Die Kosten ergeben sich einerseits aus dem zu erwartenden Schadensausmaß, andererseits aber auch aus den Vorsorgekosten, beispielsweise dem Invest für bauliche, technische, abwehrende und betrieblich-organisatorische Brandschutzmaßnahmen. Das Schadenausmaß beschränkt sich nicht allein auf den unmittelbar mit dem Ereignis in Verbindung stehende Sachschaden, sondern kann gleichermaßen Positionen wie Kosten für eine Betriebsunterbrechung, einen Imageverlust, einen Verlust an Know-How und Fachpersonal oder eben nicht zuletzt dem Verlust an Menschenleben beinhalten.

Die sich aus der Summe der einzelnen Kosten ergebenden Totalkasten sind letztendlich also der ausschlaggebende Wert für die Wirtschaftlichkeit, beispielsweise dem Invest im Bereich des Brandschutzes. Wie deutlich erkennbar ist, sinken die Totalkosten keineswegs kontinuierlich mit höherem Sicherheitsniveau, also geringerem Risiko eines Schadensereignisses, sondern steigen nach Erreichen eines Tiefpunktes auch wieder an. Linear ansteigenden Vorsorgekosten stehen ab Erreichen des Tiefpunktes der Totalkosten nur noch unterproportional sinkende Kosten für Brandschäden gegenüber, oder anders ausgedrückt: Um das Sicherheitsniveau ab Erreichen des finanziellen Optimums noch ein bischen zu verbessern, muss immer mehr Geld investiert werden.

Im Brandschutz kommen allerdings noch einige andere Aspekte zu dem oben beschriebenen Sachverhalt hinzu:

  • Die Eintretenswahrscheinlichkeit und das SchadensausmaĂź fĂĽr einen Brandfall kann nicht exakt vorherbestimmt werden.
  • Neben der rein wirtschaftlichen Bemessung des sinnvollen Sicherheitsniveaus bestehen heute baurechtliche Vorgaben, die mal unter dem wirtschaftlichen Optimum, mal darĂĽber liegen können.
  • Es besteht ein gesellschaftlich akzeptiertes Risiko, das nicht objektiv bemessen werden kann. 50 Verkehrstote in einzelnen, ĂĽber das Jahr verteilten Schadensereignissen werden hier als geringeres SchadensausmaĂź wahrgenommen, als ein BusunglĂĽck mit 40 Opfern.

Konkret wird der Einfluss des baurechtlich geforderten Sicherheitsniveaus in [1] wie folgt dargestellt:


Risiko und Kosten

Neben den Totalkosten wird mit dem Personenrisiko ein weiteres Maß für die Bewertung des optimalen Invests in Sicherheit eingeführt. Das daraus resultierende erforderliche Sicherheitsniveau kann, in Abhängigkeit von der jeweiligen Nutzung (bspw. Versammlungsstätte oder Einfamilienhaus) und dem gesellschaftlichen Konsens, höher oder niedriger als das wirtschaftlich bemessene Optimum liegen.

Vor diesem Hintergrund verliert das Zitat [3]

Für jeden Dollar, den der Staat ausgebe, muss er dem Steuerzahler möglichst viel zurückgeben. Wenn eine Regulierung mehr kostet, als sie ihr bringt, soll sie nicht in Angriff genommen werden.

zwar nicht seine Gültigkeit, kann aber in Gänze nur noch da gelten, wo der gesellschaftliche Konsens und die daraus entstandenen baurechtlichen Vorgaben nicht höher liegen.

Die Sensibilität dieses Themas hat Hans Spengler [2] erkannt und schränkt die Aussagekraft des Wertes eines statistischen Menschenlebens im Vorfeld seiner Ausführung ein:

Ginge es jedoch um die Rettung eines tatsächlich verschütteten Bergarbeiters, so wäre es natürlich undenkbar und in höchstem Maße unmoralisch, die Rettungsaktivitäten bei Erreichen von Aufwendungen in Höhe von 3 Mio. € mit dem Hinweis auf einen wissenschaftlich ermittelten Wert des Lebens einzustellen. Allerdings handelt es sich in diesem Fall auch nicht um ein undefiniertes statistisches, sondern um ein konkretes Leben, das mit einer Todeswahrscheinlichkeit von 1 bedroht ist, wenn ihm nicht geholfen würde. Andererseits könnten 3 Mio. € jedoch einen vernünftigen Richtwert für die Ergreifung von Sicherheitsmaßnahmen darstellen, um im jährlichen Durchschnitt das Leben eines unbestimmten Bergarbeiters zu retten.

Dass das beschriebene Thema trotz seiner Bedeutung für die Bemessung eines sinnvollen Sicherheitsniveaus im Brandschutz häufig missverstanden und teilweise sogar absichtlich falsch ausgelegt wird, wollen wir im dritten Teil der Beitragsreihe anhand eines Beispiels aus der Fachpresse anschaulich verdeutlichen.

[1] „Wirtschaftliche Optimierung im vorbeugenden Brandschutz„, Katharina Fischer, Jochen Kohler, Mario Fontana und Michael H. Faber, Institut fĂĽr Baustatik und Konstruktion ETH ZĂĽrich, Juli 2012
[2] „Kompensatorische Lohndifferenziale und der Wert eines statistischen Lebens in Deutschland„, Prof. Dr. Hannes Spengler
[3] „What is a Life Worth?„, Ike Brannon

Update: [4] „
Corona und die Wirtschaft: Was darf ein Leben kosten?
„, Benjamin Bidder

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